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Jedes Jahr am 6. Januar ziehen Mitarbei- tende als Heilige Drei Könige durch das Marienhospital. Die Tradition wurzelt in den biblischen Sterndeutern, die einem Stern folgten und den neugeborenen König suchten. Mich beeindruckt, wie Künstler diesen Weg als Bild für den Glauben deuten. Als Weg, der kein linearer ist, kein Finden und Besitzen, sondern Höhen und Tiefen, Nähe und Entfernung kennt. Oft werden die Könige verschieden alt dargestellt. Dabei steht etwa der junge König am weitesten von der Krippe ent- fernt und schaut auf zum Stern. Der König mittleren Alters ist näher an das Jesuskind herangerückt. Er schaut auf die Erde und berührt sie. Der alte König hat als einziger die Krone abgenommen, kniet vor dem Kind und blickt zu ihm hin. Ich denke, die Künstler wollen damit eine Erfahrung ausdrücken: Das Bild des jungen Königs sagt vielleicht: Manchmal sehen wir unsere Ideale wie Sterne. Wir sind bereit, uns ganz unseren Vorstellun- gen eines geglückten Lebens hinzuge- ben. Wir suchen Erfüllung in Menschen, Zielen, Dingen, Erlebnissen und in Gesundheit. In anderen Phasen sind wir wie der König mittleren Alters, ganz der Erde zuge- wandt, leben in unserer Realität, schau- en auf tägliche Aufgaben, die wir errei- chen können – manchmal auch müssen. In einer Zeit, in der wir wie der älteste König unsere Krone abnehmen, identi- fizieren wir uns nicht mehr völlig mit unseren Rollen. Wir lassen los, sind freier und reifer. Wir erkennen, dass unsere eigene Macht nicht alles erreicht und gut macht. Es ist eine Zeit, in der wir uns dem Dasein eines Größeren anvertrauen. Solche Phasen erleben wir nicht nur in unterschiedlichen Altersstufen, sondern immer wieder neu. Wir lernen dabei viel- leicht – wie der jüngste König –, dass Erfüllung nicht nur in den Sternen liegt, nicht nur in Gesundheit, Erfolg und Besitz. Mit Blick auf den mittleren König erfah- ren wir, dass nicht alles von uns abhängt. So auch mit Blick auf den Ältes- ten, der seine Krone abnehmen und niederknien kann. Er muss nichts beweisen, wenn er dem Größeren, Gott, begegnet, der sich ihm nicht im Palast, nicht in der Gestalt eines Königs zeigt, sondern in der schlichten menschlichen Gestalt eines Kindes im Stall. Die biblischen Sterndeuter ermutigen uns, Gott zuzutrauen, dass er sich ver- birgt, wo wir es nicht erwarten – im All- tag. Ihn zu suchen im Fest wie in Bana- litäten, in frohen Tagen, aber auch in Leid und Enttäuschung. Möge Gott uns so wie ihnen in all unseren Erfahrungen begegnen und als leuchtender Stern auf dem Weg unseres Lebens vorangehen. Dies wünscht Ihnen Ihre Klinikseelsorgerin Schwester Sylvia Maria Schäfer Sr. Sylvia Maria Schäfer ist Klinik- seelsorgerin und Vorsitzende des Ethikkomitees. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen kümmert sie sich um Patientin- nen und Patienten, Angehörige und Mitarbeitende in schwierigen Situationen. In der Reihe „Auf ein Wort“ wendet sich jeweils ein Mit- glied des Seelsorgeteams an unsere Leserinnen und Leser. GUT ZU WISSEN Königliche Wegbegleitung Anbetung der Heiligen Drei Könige, 13. Jh, Fresko in der Kirche von Bjäresjö, Schweden Foto: shutterstock; Stig Alenas AUF EIN WORT 37 marien 01 | 2025
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