2008 wurde Andreas Kern (Name von der Redaktion geändert) aufgrund eines Prostatakarzinoms operiert. Hierbei entfernte man in der Leistengegend Lymphknoten. In den Folgejahren traten Entzündungen an den Beinen auf, sogenannte Erysipele. Vor drei Jahren bildete sich ein Lymphödem am rechten Bein. „Während einer Autofahrt spürte ich plötzlich, wie mein Bein immer stärker anschwoll“, erinnert er sich.
LVA – ein in Deutschland nur selten angewandte OP-Technik
Im Dezember 2022 unterzog sich der Patient im Marienhospital Stuttgart einer sogenannten „Lymphovenösen Anastomose“ (LVA). Diese innovative chirurgische Behandlungsmethode wird in Deutschland in nur wenigen Kliniken durchgeführt. „Bis dahin fühlte ich mich wirklich allein gelassen mit meiner Erkrankung. Sämtliche Therapien habe ich stets aus eigener Initiative recherchiert, so auch, dass es diese neue OP-Technik gibt“, resümiert der 72-Jährige.
„Lymphödemerkrankungen werden in der medizinischen Fachwelt recht stiefmütterlich behandelt“, stellt auch Dr. Laurenz Weitgasser fest, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie und Oberarzt in der Klinik für Hand-, Mikro- und rekonstruktive Brustchirurgie am Marienhospital. „Da sie nicht lebensbedrohlich sind, werden die Einschränkungen, mit denen ein Lymphödempatient zurechtkommen muss, oft nicht ernst genug genommen.“ Doch die verstärkte Ansammlung von Flüssigkeit in den Extremitäten führt häufig zu Entzündungen und schlimmstenfalls zu einer Blutvergiftung.
Ein hoch komplexes Entwässerungssystem des Körpers
Die Lymphgefäße funktionieren wie ein hoch differenziertes „Abwassersystem“, ohne das der Mensch nicht leben könnte. Ihre Aufgabe ist es, Abfallstoffe wie Eiweiße, Bakterien oder Fette abzuleiten und die Entwässerung des Gewebes zu regulieren. Sind die Lymphgefäße und Lymphknoten geschädigt oder verstopft, kann die Körperflüssigkeit (Lymphe) nicht mehr durch die tiefen Lymphbahnen weiterfließen. Die Flüssigkeit staut sich im Gewebe und wird in die Haut hochgedrückt. Es entstehen Lymphödeme, die zu extremen Schwellungen etwa in Armen und Beinen führen. Chronische Lymphödeme sind nicht heilbar. Sie werden in der Regel mit konventionellen Therapien wie Lymphdrainagen und dem Tragen von Kompressionsstrümpfen behandelt. Das ist für Patienten enorm zeitaufwendig und hilft nur begrenzt bei der Linderung ihres Leidens.
Im Grunde wird wie beim Herzen ein Bypass gelegt
Eine neue chirurgische Methode, die Lymphovenöse Anastomose, kurz LVA, lernte Dr. Weitgasser während seines Aufenthalts 2019/2020 an einer Klinik im australischen Melbourne kennen: „Es handelt sich letztlich um eine Bypass-OP. Ganz ähnlich wie bei einem Bypass am Herzen, bei dem man einen Umweg über eine Zusatzvene legt, werden hier Lymphgefäße mit Venen gekoppelt. Durch diese Verbindung kann die gestaute Lymphe abfließen und lagert sich nicht im Gewebe ab.“
Um zu entscheiden, an welchen Stellen ein solcher Bypass gelegt werden kann, erfolgt zunächst eine spezielle Form der Bildgebung. Hat sich ein Lymphödem am Bein gebildet, wird eine kleine Menge fluoreszierender Farbstoff direkt unter die Haut zwischen den Zehen eingespritzt. Die Lymphgefäße samt Laufbahn der Lymphe werden sichtbar. Bei gesunden, funktionierenden Lymphgefäßen fließt der Farbstoff in ungebrochenen Bahnen hin zur Körpermitte. Sind die Gefäße verstopft oder durchtrennt, kann die Lymphe nicht weitertransportiert werden. Im Infrarotbild erscheint dann ein diffuses Leuchten im Gewebe, was für den Lymphstau bzw. ein Lymphödem spricht.
„Vor dem operativen Eingriff zeichnen wir auf der Haut des Patienten die Stelle ein, bis zu der wir das noch intakte Lymphgefäß bzw. den Lymphfluss nachverfolgen können. Hier setzen wir einen kleinen Schnitt. Dann wird der Bypass gelegt, das heißt, das Lymphgefäß wird direkt mit der Vene verbunden. Sie ist damit in der Lage, Lymphe zu entsorgen und über die Nieren auszuscheiden,“ erklärt der Chirurg.
Kein großer Eingriff mit sehr wenig Risiko
Um mithilfe des Mikroskops die weniger als 0,3 mm feinen Bypässe zu legen, bedarf es nicht nur extrem feiner Instrumente, sondern auch ultrafeiner Fäden – solche, die man mit bloßem Auge gar nicht sieht. Dr. Weitgasser erläutert: „Für den Patienten ist es kein großer Eingriff mit sehr wenig Risiko. Er kann sogar nur unter lokaler Betäubung durchgeführt werden. Im besten Fall erleben wir schon während der Operation, dass das Gewebe weicher wird und der Überdruck sich abbaut.“
Im Marienhospital sowie auf Fachkongressen leistet Dr. Laurenz Weitgasser engagiert Aufklärungsarbeit. „Denn die wenigsten Fachärzte wissen, dass es eine solche vergleichsweise kleine Operation gibt. Meist werden nur die konventionellen Therapien wie Lymphdrainage etc. angewandt. Mit einer LVA kann jedoch vielen Patienten ein großes Stück Lebensqualität wiedergegeben werden“, resümiert er.