Bereits im Mutterleib ist ein Kind schon ganz Ohr: Es hört den mütterlichen Herzschlag, den Klang und die Melodie der Stimme der Mutter. Ein gesundes Neugeborenes mit einem organisch vollständig ausgebildeten und funktionsbereiten Gehör nimmt Geräusche von Anfang an wahr und reagiert darauf. Durch vielfältige Höreindrücke verfeinert sich das Hörvermögen und reift weiter aus. In den ersten drei Lebensjahren lernt das Gehirn besonders intensiv, die Hörreize und -informationen zu verschärfen und sinnvoll zu deuten. Die Hörbahn ist im Alter von zwei bis zweieinhalb Jahren abgeschlossen.
Durch Hören in die Sprache kommen
Gutes Hören ist für die gesamte kindliche Entwicklung von großer Bedeutung. Eine angeborene Schwerhörigkeit, die nicht rechtzeitig erkannt und therapiert wird, verhindert, dass sich das Hörvermögen weiter ausbilden kann, weil die dazu notwendigen Höreindrücke fehlen. Vor allem die Sprachentwicklung eines Kindes hängt maßgeblich von dessen Hörfähigkeit ab: „Ein Kind, das nicht gut hört, kann auch nicht gut sprechen lernen. Kinder, die nahezu taub sind, kommen erst gar nicht in die Sprache“, sagt Dr. Dorothee Rickert, Leiterin des Schwerpunkts Phoniatrie und Pädaudiologie am Marienhospital. „Bleibt eine Schwerhörigkeit unerkannt und unbehandelt, wirkt sich das meist auch auf andere Bereiche aus. Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben hängen bei Kindern häufig mit unerkannten Hörstörungen zusammen“, erklärt die Fachärztin für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie weiter.
Neugeborenen-Hörscreening
Schwerhörigkeit ist die häufigste angeborene Störung: In Deutschland kommen von 1.000 Neugeborenen ein bis drei Kinder mit schweren Hörauffälligkeiten zur Welt. Um Hörstörungen frühzeitig erkennen zu können, wurde 2009 mit dem Hörscreening eine Früherkennungsuntersuchung für alle Neugeborenen eingeführt. Zeigen sich beim Hörtest in der Geburtsklinik Auffälligkeiten, sind zeitnah Kontrolluntersuchungen beim Kinderarzt, HNO-Arzt oder bei einer Nachuntersuchungsstelle empfohlen.
Pädaudiologische Diagnostik
Bestätigt sich der Verdacht einer Hörstörung, ist eine Hördiagnostik durch einen Pädaudiologen wichtig. „Natürlich sind Eltern, die bei ihrem Neugeborenen die Diagnose einer Hörstörung oder gar Gehörlosigkeit bekommen, verunsichert und gestresst. Hier ist es wichtig, den Druck herauszunehmen und den Eltern das Vertrauen zu vermitteln, dass sie nicht allein gelassen werden“, weiß Dr. Dorothee Rickert. „Wir informieren die Eltern eingehend über die unterschiedlichen Therapien, operative Möglichkeiten, die Anpassung eines Hörgeräts etc. Letzteres sollte schon innerhalb des ersten Lebensjahres eines Kindes angepasst werden“, ergänzt sie. Sabine Weber, Audiometristin und stellvertretende Leiterin des Hörzentrums am Marienhospital, führt Hörtests (Audiometrie) mit verschiedenen Untersuchungsverfahren durch, um die Funktion des Gehörs zu überprüfen. Sie betont: „Hördiagnostik ist im Kindes-alter etwas ganz anderes als im Erwachsenenalter. Es ist wichtig, die Kinder da abzuholen, wo sie in ihrer Entwicklung und mit ihren Fähigkeiten stehen. Um gute Ergebnisse zu erzielen, braucht es sehr viel Erfahrung.“
Odyssee mit Ellie
Bevor Katja und Benjamin Lau zu Dr. Dorothee Rickert am Marienhospital fanden, hatten sie eine regelrechte Odyssee hinter sich. Ihre Tochter Ellie kam im Juni 2022 mit einer linksseitig rudimentär angelegten Ohrmuschel und verschlossenem Gehörgang zur Welt. In der Geburtsklinik erhielten die jungen Eltern jedoch keine Aufklärung und Beratung zu den möglichen Konsequenzen für die Entwicklung ihres Kindes. „Wir hatten zunächst gehofft, dass es sich nur um ein eingerolltes Ohr handelt, das sich mit der Zeit von selbst auswächst“, erzählt Katja Lau. Erst die Kinderärztin diagnostizierte eine organische Hörstörung und überwies an den HNO-Facharzt, der selbst wiederum an einen Hörgeräteakustiker weiterverwies. Dieser endlich führte die Familie an den Schwerpunkt Phoniatrie und Pädaudiologie am Marienhospital. Hier wurde Ellie umfassend untersucht, die Eltern aufgeklärt und beraten und die Therapie eingeleitet.
„Am schlimmsten war die Zeit der großen Unsicherheit, ob oder wie viel unsere Tochter tatsächlich hört“, erinnert sich Katja Lau. „Wir waren sehr verzweifelt, weil wir nicht wussten, was da auf unsere Ellie noch alles zukommen wird.“ Heute ist die knapp einjährige Ellie mit einem Hörgerät versorgt, das sie an einem Stirnband mehrmals am Tag für einige Stunden trägt. Obwohl es auf dem rechten, vollständig ausgebildeten Ohr keine Höreinschränkung gibt, ist die Unterstützung wichtig, damit sie ein Richtungshören entwickeln kann und ihre Sprachentwicklung nicht beeinträchtigt wird. Mit fünf oder sechs Jahren, wenn der Knochen ausgewachsen ist, kann Ellie mit einem implantierbaren Hörgerät versorgt werden. Auch eine Epithese, eine künstliche Nachbildung der Ohrmuschel aus Silikon, ist eine Option für ein späteres Alter. Aber jetzt darf Ellie erst einmal die Welt mit allen Sinnen entdecken und ihr Gehör schenken.
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