Vor allem denjenigen, die ganz besonders von den anhaltenden Ausnahmezuständen betroffen waren. Und das sind im Marienhospital Stuttgart an erster Stelle all die Mitarbeitenden auf den Covid-Stationen.
Im Umgang mit Infektionskrankheiten bereits erfahren
„Weil wir schon früher mit isolierungsbedürftigen Krankheitsbildern wie Tuberkulose und Norovirus zu tun hatten, lag nahe, dass auch Corona zu uns kommen wird“, sagt Angelina Heigele, Pflegeleiterin auf der Station M8ab der Inneren Medizin 2. Seit Mai 2020 war Covid 19 das alles beherrschende Thema bei ihr. 36 Betten hat die Station. Der Betreuungsaufwand aber für die Menschen, die sie belegen, ist doppelt so hoch. Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Hygienemaßnahmen inklusive Desinfektion der kompletten Zimmer und Entsorgung des täglich anfallenden Mülls, die vom Team selbst zu leisten waren. Denn alle Patienten auf dieser Station sind infektiös, so unterschiedlich die Auswirkung der Covid-Erkrankung auch sein kann.
Oberarzt Dr. Stephan Horn, der von Haus aus Internist und Infektionsmediziner ist, erläutert: Die Patienten auf seiner Station seien „nicht kritisch krank, aber schwer krank“. Das heißt, sie sind sauerstoffpflichtig und müssen mit verschiedenen Therapien unterstützt werden. Einige wurden direkt auf seine Station eingeliefert, manche kamen von der Intensivstation, wo sie das Schlimmste überstanden hatten. Zur dritten Gruppe zählen Patienten, die eigentlich wegen anderer Erkrankungen im Marienhospital sind, aber im Haus positiv getestet wurden.
Der tägliche Kampf
Dementsprechend viel Bewegung ist auf der Station. Bei der täglichen Bettenbesprechung tauscht sich das Team aus, wie der Zustand einzelner Patienten ist und wer vielleicht verlegt werden kann oder muss. „Jeder ist bemüht, einen bestmöglichen Job zu machen“, sagt Dr. Stephan Horn. „Und ich versuche hier wirklich, die Stimmung aufrecht zu erhalten“, ergänzt Angelina Heigele. Aber nach bald zwei Jahren im Ausnahmezustand sei es definitiv schwieriger geworden. Zur täglichen Arbeitsbelastung kam noch die ständige Angst, die Krankheit in die Familien reinzutragen. Und das immer stärker werdende Gefühl, „dass das ganze Leben von Corona bestimmt wird, drinnen wie draußen“. Zudem hätten sich mit der Zeit viele Kolleginnen und Kollegen umorientiert – aus unterschiedlichen Gründen. „Es ist schwer, das Pensum zu bewältigen, wenn man kein konstantes Team hat“, sagt Heigele. Nicht nur sie wünschte sich häufig mal einen Tag, „an dem man einfach nur arbeiten kann, ohne viel erklären zu müssen“.
Unterstützung aus dem Haus
Was wäre zu tun? Natürlich gab und gibt es fachübergreifende Unterstützung aus dem ganzen Haus. Zeitweilig wurden chirurgische Stationen und OP-Säle stillgelegt und die Pflegekräfte und Ärzte auf Fremdstationen eingesetzt. Es wurde getestet, geimpft und überall dort geholfen, wo Not am Mann war. Und das Kantinenteam bereitete für die Covid-Stationen mit Kuchen immer wieder eine kleine Freude zwischendurch. Das grundsätzliche Problem aber ist: Man kann zusätzliches Personal nicht einfach aus dem Hut zaubern. Dr. Stephan Horn sieht da nur wenig Handhabe fürs Haus und weitet den Blick auf Gesellschaft und Politik. „Auf der einen Seite hat man applaudiert und Milliardenhilfen in die Wirtschaft gesteckt. Auf der anderen Seite wurde ewig wegen eines Corona-Bonus‘ für Pflegekräfte rumgefeilscht“, stellt er ernüchtert fest.
Auch für Michele Panik war es „belastend, dass manche Leute da draußen die Lage nicht verstehen wollten“. Sie ist stellvertretende Stationsleiterin auf der Covid-Intensivstation, die zur Inneren Medizin 1 gehört. Ihr Kollege und Stationsleiter Gregorio Micali berichtet, dass Misstrauen und Anfeindungen von Angehörigen leider keine Seltenheit gewesen seien, anfangs auch wegen der strengen Besuchsregeln. Immerhin wurden diese im Laufe der Pandemie etwas gelockert: von gar keiner Besuchsmöglichkeit in der ersten Welle bis hin zur 2G-plus-Regelung mit zweimal die Woche eine Stunde. Und zwischendurch sei auch Anerkennung und Dankbarkeit für die oft wochen-, manchmal monatelange Betreuung zu spüren gewesen, selbst wenn der Angehörige letztendlich verstorben war. Von 250 Intensivpatienten in zwei Jahren haben es 67 nicht geschafft (gemäß Datenstand Mitte März 2022).
Corona – ein Jahrhundertereignis
„Auf Intensivstationen wurde schon immer viel gestorben“, sagt der Oberarzt Dr. Michael Heinold. Neu aber beim „Jahrhundertereignis“ Corona war ein dramatisches Paradoxon: dass man nicht viel gegen diese dynamische Krankheit tun konnte – und trotzdem sehr viel zu tun hatte. In der Zentrale der Intensivstation vergingen kaum fünf Minuten, in der am großen Monitor nicht ein Alarm von einem der zwölf Betten mit Beatmungsmöglichkeit zu hören war. Neben dem regelmäßigen Checken der Medikamentenabgabe, der Eintrittsstellen der Katheter, der Position der Magensonde und der Beatmungsfunktionen gehört auch das Wenden in die Bauchlage zu den täglichen Aufgaben. Aber wer einmal gesehen hat, welch konzentrierte Anstrengung von bis zu fünf Pflegekräften und mindestens einem Arzt in voller Schutzkleidungsmontur dafür nötig ist, wird vielleicht ein anderes Verständnis von „Routineaufgaben“ bekommen.
„Es gab Zeiten, da waren wir komplett am Limit. Die Nerven lagen blank“, sagt Michele Panik. Insgesamt aber habe Corona „das Team zusammengeschweißt“. Bedrückend war, wie jung einige Patienten in der Deltawelle waren. Mit Omikron wurden dann vermehrt Paare eingeliefert. Selbst in vermeintlich ruhigeren Zeiten zwischen den Pandemiewellen habe man immer mindestens einen Covid-Patienten auf der Intensiv gehabt, sagt Dr. Heinold. Erschreckend seien auch die Phasen gewesen, in denen man aufgrund internationaler Abhängigkeiten Versorgungsengpässe gespürt habe; wenn Material und Medikamente knapp wurden. Zum Abbruch einer Therapie sei es zum Glück dennoch nie gekommen.
Austausch ist wichtig
Rückblickend sagt der Oberarzt, dass jeder seine eigene Strategie in solchen Grenzsituationen haben müsse. Für sich hat er ein Stück weit die pragmatische Einstellung entwickelt: „Es kommt, wie es kommt.“
Und doch ist der Austausch, der über Arbeitsprozesse hinausgeht, wichtig. Dass man nicht alles allein mit sich ausmacht und mit nach Hause nimmt. Dafür wurde Anfang des Jahres ein zusätzliches Angebot auch und gerade für die Teams der beiden Covid-Stationen geschaffen. Unter der Moderation von Dr. Johannes Becker-Pfaff, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, finden alle zwei Wochen Gesprächsrunden statt. „Dabei geht es nicht darum, wer was richtig oder falsch gemacht hat, sondern man kann sich einfach öffnen“, so der Pflegeleiter Gregorio Micali über das neue Angebot.
Und nicht nur Dr. Michael Heinold erwähnt als „Back-up“ noch etwas, das zu den Stärken und zur DNA des Hauses gehört: „der ganzheitliche Ansatz im Marienhospital“. Zum Beispiel in Person von Seelsorgerin Schwester Sylvia Maria mit ihrer Fähigkeit, Mitarbeitende und Angehörige mitzunehmen und zwischen all der Technik und den Maschinen friedliche und würdevolle Situationen zu ermöglichen. Ein Dank an dieser Stelle also auch ihr wie allen anderen, die in den zwei Jahren Pandemie alles gegeben haben – in der Hoffnung, dass das Schlimmste überstanden ist.