Bei der Operation in Somalia mussten Muskeln und Gewebe durchtrennt und teilweise entfernt werden. Resultat: Die Bauchdecke Hakiim Ahmeds war nach dem Eingriff geschwächt. In der Folge platzte die Operationsnarbe wieder auf, und ein Stück des Darms wurde nach außen gedrückt. Hakiim Ahmed litt unter dauernden Schmerzen, konnte kaum körperliche Tätigkeiten verrichten. Zudem war die Gefahr eines Darmverschlusses groß. Inzwischen lebt Hakiim Ahmed in Stuttgart. Eine weitere Operation 2019 scheiterte hier, da sich die OP-Narbe entzündete. Im Marienhospital konnte dem heute 28-Jähringen jetzt durch eine aufwendige interdisziplinäre Operation geholfen werden.
Ein Synthetiknetz verschließt das Loch im Bauch
Mit der Operation von „Löchern“ in der Bauchdecke hat das Marienhospital sehr viel Erfahrung. „Wir operieren viele Leistenbrüche. Und das sind letztlich auch Schwachstellen bzw. Löcher im Bauchbereich, durch die mitunter innere Organe wie etwa der Darm nach außen dringen“, erläutert Professor Schäffer. Der Chirurg ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie.
In der Regel werden Leistenbrüche heute minimal-invasiv, also über winzige Einschnitte in die Bauchdecke operiert. Durch diese schiebt der Operateur ein Netz aus einer synthetischen Faser in den Bauchraum. Es wird dort so vor den Bruch gelegt, dass es die zu schwache Bauchdecke stabilisiert und in sie einwächst. Die bei einem Leistenbruch verwendeten Netze sind meist 10 mal 15 Zentimeter groß. „Um den sehr großen Bauchwandbruch von Herrn Ahmed zu stabilisieren, haben wir das größte Netz verwendet, das es auf dem Markt gibt. Es misst etwa 40 mal 30 cm“, berichtet Professor Schäffer.
Unkomplizierte Zusammenarbeit im Marienhospital
„Wegen der Größe des Lochs in Herrn Ahmeds Bauch hatten wir aber zwei Probleme: Das Netz allein hätte nicht die nötige Stabilität gebracht. Zudem mussten wir sehr viel Gewebe wegschneiden. Dadurch war zu wenig Haut und Muskel vorhanden, um die Bauchdecke wieder komplett bedecken zu können“, so der Chirurg. „Hakiim Ahmed profitierte hier von der engen und unkomplizierten interdisziplinären Zusammenarbeit im Marienhospital“, sagt Professor Schäffer.
Denn die Klinik für Hand-, Mikro- und rekonstruktive Brustchirurgie hat viel Erfahrung darin, Haut, Muskeln und Gewebe von einer Körperstelle auf eine andere zu übertragen. So baut die Klinik beispielsweise nach einer Brustentfernung wegen Krebs die weibliche Brust aus Gewebe wieder auf, das sie am Oberschenkel entnimmt. Dr. Thomas Kuipers ist leitender Oberarzt an der Klinik für Hand-, Mikro- und rekonstruktive Brustchirurgie. Er operierte Hakiim Ahmed am 2. September 2020 gemeinsam mit Professor Schäffer und seinem Team. Er erläutert: „Ich habe am linken Oberschenkel einen zusammenhängenden Gewebeblock aus einem Muskel entnommen. Dieser bestand aus einem etwa 25 mal 15 cm großen Bindegewebsstreifen und einem schmalen Hautstreifen. Damit haben wir den Bauchbereich von Herrn Ahmed bedeckt und verstärkt.“
Unter dem Mikroskop verbunden
Eine solche „freie Lappenplastik“ ist ein aufwendiger Eingriff, den nur wenige spezialisierte Zentren vornehmen. Denn das verpflanzte Gewebe wird dabei vollständig von der Entnahmestelle abgelöst. Das heißt auch, dass sämtliche Blutgefäße durchtrennt werden. Am Ort der Defektdeckung müssen die Gefäße dann unter dem Mikroskop mit feinen Nähten wieder an die dortigen Gefäße angeschlossen werden. Sonst würde das verpflanzte Gewebe absterben. Dadurch unterscheidet sich die freie von der gestielten Lappenplastik. Bei letzterer wird das Gewebe auf die meist unmittelbar benachbarte abzudeckende Stelle „geklappt“. Dabei werden nur wenige Gefäße durchtrennt, die meisten bleiben intakt.
Ein Platzbauch heilt nicht von selbst
„Die Entnahmestelle am Oberschenkel konnte direkt vernäht werden. Sie wird Herrn Ahmed keine dauernden Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen bringen“, so Dr. Kuipers. Einen Monat nach dem Eingriff geht es Hakiim Ahmed gut. Die Narben werden bleiben, aber alles ist sauber verheilt. Er hat noch leichte Schmerzen, ansonsten aber keinerlei Probleme. Auch seine körperliche Belastbarkeit ist wiederhergestellt. Am wichtigsten aber ist, dass er sich keine Sorgen mehr machen muss, dass seine Verletzung irgendwann zu schweren körperlichen Komplikationen führt. „Ein Platzbauch heilt nicht von selbst, er muss immer operiert werden, stellt Professor Schäffer klar. „Ich freue mich daher, dass wir dem Patienten helfen konnten, bevor durch die eingeklemmten Organe irreparable Folgen aufgetreten sind.“
Nach Schussverletzungen hierzulande selten, nach Bauch-OPs aber häufiger
Ein Platzbauch als indirekte Folge einer Schussverletzung wie im Fall von Hakiim Ahmed ist in Deutschland höchst selten. Häufiger kommt er in Kriegs- oder Bürgerkriegsgebieten vor. Und in Ländern, wo viele Menschen eine Schusswaffe besitzen. Meist entsteht ein Platzbauch als Folge einer Operation im Bauchbereich mittels großem Schnitt. Durch zu schnelle und unvorsichtige Mobilisation nach der Operation oder heftige Hustenstöße besteht hier die Gefahr, dass die Narbe wieder aufbricht und die Eingeweide aus dem Körper gedrückt werden. Bei der heute weit verbreiteten schonenden Schlüssellochchirurgie hingegen werden nur winzige Schnitte gesetzt, die weniger leicht wieder aufplatzen.
Ein höheres Risiko für einen Platzbauch nach einer Operation haben insbesondere Menschen mit starkem Übergewicht. Aber auch Diabetes, Wundinfektionen, schwere Leber- und Nierenschäden begünstigen das Entstehen eines Platzbauchs. Meist entsteht er etwa vier bis sechs Tage nach einer Operation. Erkennbar ist er durch auseinanderklaffende Wundränder. Manchmal ist aber auch die äußere OP-Naht intakt und nässt lediglich. Ein Platzbauch sollte immer operiert werden. Von sich aus heilen kann er nicht.