Seit seinem ersten Lebensjahr lebt Salim Bagciman in Stuttgart. In seinem Geburtsland Türkei ist er als Popstar Salim Alo bekannt. „Nach einem Konzert im Jahr 2009 sah ich plötzlich alles doppelt und hatte Gleichgewichtsprobleme. Als ich in den Spiegel schaute, bemerkte ich, dass mein linkes Auge extrem herunterhing“, so der 51-jährige Sänger.
Damals begann eine Leidensgeschichte, die elf Jahre andauern sollte. „Ärzte stellten die Diagnose Myasthenia gravis, und ich bekam Medikamente dagegen. Die halfen aber nicht, hatten nur Nebenwirkungen. Mal hing das linke, mal das rechte Auge herunter, oft gepaart mit Nasenbluten“, erinnert er sich.
Eine Sonnenbrille verbarg das Auge
Er setzte die Medikamente schließlich ab. Weil er stets mit Sonnenbrille auftritt, bemerkte man das hängende Auge in Videos, bei Live-Auftritten oder in Fernsehshows nicht. „Trotzdem war die Erkrankung eine Belastung, weil ich oft alles doppelt sah.“ Ein Arzt sagte Salim Bagciman, dass eine Entfernung der Thymusdrüse die Myasthenia gravis eventuell verbessern oder sogar heilen könnte. „Aber eine Garantie wollte er mir nicht geben. Und der Arzt sagte zudem, dafür müsse man mir den kompletten Brustkorb senkrecht aufschneiden. Ich wollte aber keine riesige Narbe und wochenlang Schmerzen, ohne dass eine Heilung sicher ist“, so der 51-Jährige.
„Dass mir am Ende im Marienhospital geholfen wurde, war Zufall“, sagt Salim Bagciman. Er arbeitet in seinem bürgerlichen Beruf seit 27 Jahren als Schuster im Marktkauf in Feuerbach. Ein schmerzhafter Leistenbruch machte ihm im Sommer 2020 das Arbeiten dort fast unmöglich. Sein Arzt riet ihm, sich im Marienhospital einer Leistenbruch-OP zu unterziehen, weil das Krankenhaus damit viel Erfahrung habe. Professor Dr. Michael Schäffer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie, sah den Patienten vor der Operation. Dabei fiel ihm dessen hängendes Auge auf. „Der Chefarzt zog Professor Lindner hinzu, den Ärztlichen Direktor der Neurologie“, so Salim Bagciman. Dieser bestätigte die Diagnose Myasthenia gravis. Professor Lindner: „Vieles deutete darauf hin, dass Herr Bagciman von einer Thymus-Entfernung profitieren würde.“ Denn bestimmte Veränderungen des Thymusgewebes begünstigen das Entstehen der Myasthenia gravis, auch wenn deren Ursache noch nicht restlos erforscht ist. Durch Analyse des bei dem Eingriff entnommenen Gewebes könne man zudem bösartige Veränderungen ausschließen.
Der Thymus sitzt nah am schlagenden Herzen
„In vielen Kliniken ist eine Thymus-OP ein großer Eingriff mit einem Schnitt vom Hals bis fast zum Bauchnabel. Daher muss man gut abwägen, ob man einem Patienten die Operation empfehlen kann“, sagt Professor Lindner. Mit der Chirurgie-Oberärztin Dr. Steffi Zacheja habe man aber seit 2017 eine Thoraxchirurgin am Hause, die den Eingriff minimal-invasiv durchführen könne. Der Patient habe danach kaum sichtbare Narben, wenig Schmerzen und komme rasch wieder auf die Beine. Salim Bagciman stimmte dem Eingriff zu.
Dr. Zacheja und Professor Schäffer nahmen ihn gemeinsam vor. „Die dreistündige OP war nicht ganz unkompliziert“, so Dr. Zacheja. „Der Thymus besteht beim Erwachsenen aus Fett- und Bindegewebe. Er liegt auf dem schlagenden Herzen hinter dem Brustbein. Dadurch ist das OP-Gebiet sehr eng und unruhig. Das Gewebe reichte bei Herrn Bagciman zudem weit nach rechts und links, weshalb wir von beiden Seite operieren mussten“, erklärt sie. Dennoch blieben am Ende nur fünf winzige Narben, die man kaum sieht.
Außergewöhnlich war der Erfolg des Eingriffs
„Bei den meisten Patienten dauert es Monate, bis die Symptome verschwinden. Bei Herrn Bagciman war die Augenlähmung bereits direkt nach der OP nicht mehr sichtbar,“ so Dr. Zacheja. „Ich bin so froh“, sagt Salim Bagciman strahlend am Entlasstag. „Und meine Fans in der Türkei warten schon darauf, dass ich wieder auftreten kann.“
DIE THYMUSDRÜSE
Der griechische Begriff Myasthenia gravis bedeutet so viel wie „schwere Muskellähmung“. Diese entsteht, weil sich das Immunsystem bei der Krankheit gegen den eigenen Körper richtet. Eigentlich soll es Krankheitserreger bekämpfen, die von außen kommen. Ursache der Myasthenia gravis ist oft eine krankhafte Veränderung der Thymusdrüse. Die Drüse, die auch als Bries bekannt ist, sitzt hinter dem Brustbein. Im Säuglingsalter hat sie eine wichtige Funktion zur Aktivierung des Immunsystems. Später bildet sie sich zu Fett und Bindegewebe um.
Myasthenia gravis befällt oft nur die Augen-, manchmal aber auch die Atem-, Schluck- oder Extremitätenmuskulatur. Meist kann sie von Neurologen medikamentös behandelt werden. Wenn Medikamente nicht wirken und in bestimmten anderen Fällen empfiehlt der Neurologe aber auch eine Thymus-Entfernung. Danach können die Patienten auf Medikamente oft ganz oder teilweise verzichten. Im Marienhospital erfolgt die OP minimalinvasiv, also besonders schonend mit winzigen Schnitten. Dies hat eine schnelle Genesung und fast unsichtbare Narben zur Folge.