Saifurhaman Quraishe ist 36 Jahre alt. Zehn Jahre lang durchlebte er eine gesundheitliche Odyssee. „Wenn ich gegessen habe, musste ich mich oft kurz danach übergeben. Dazu kamen Atemnot und Schmerzen im Bereich des Rückens. Zweimal bin ich in der Dusche einfach umgefallen“, sagt der aus Afghanistan stammende Kriegsflüchtling, der 2015 nach Deutschland kam.
Zahlreiche Untersuchungen blieben ohne Ergebnis
Sowohl in seiner afghanischen Heimat als auch in Deutschland war Saifurhaman Quraishe wegen seiner Beschwerden bei verschiedenen Ärzten. Doch Magen, Rücken und Lunge des Patienten erschienen trotz der anhaltenden Probleme unauffällig. Magenspiegelungen, Ultraschallaufnahmen, Röntgen und andere Untersuchungen brachten keine Ergebnisse. Mitte Januar 2020 ging es Saifurhaman Quraishe so schlecht, dass er sich in die Notaufnahme des Marienhospitals Stuttgart fahren ließ. Oberärztin Dr. Steffi Zacheja, Thoraxchirurgin am Krankenhaus, erläutert: „Die Kollegen in der Notaufnahme machten eine CT-Untersuchung und sahen sofort, dass an Herrn Quraishes Zwerchfell etwas nicht stimmte.“
Seltene Larrey-Hernie
Was man auf Röntgen- und Ultraschallaufnahmen in all den Jahren davor nämlich nicht hatte sehen können, trat in der computertomografischen Aufnahme zum Vorschein: „Herr Quraishe litt an einer sogenannten Larrey-Hernie. Durch dieses kleine Loch im Zwerchfell hatten sich ein Stück Dünndarm sowie Fettgewebe nach oben in den Brustraum bis zur Lunge geschoben. Immer, wenn der Patient etwas aß, drückte das eingeklemmte Dünndarmstück einige Zeit später auf die umgebenden Organe und verursachte Schmerzen und Brechreiz“, so Dr. Zacheja.
Eine Larrey-Hernie ist selten. Benannt ist sie nach dem französischen Chirurgen Dominique-Jean Larrey. Er entdeckte die Larrey-Spalte, eine Lücke in der Zwerchfellmuskulatur, in der sich ein „Loch“ bilden kann. Man findet die Larrey-Hernie gelegentlich bei Säuglingen, deren Lunge nicht gut entwickelt ist. Bei Erwachsenen kann diese Schwäche im Zwerchfell ebenfalls angeboren sein. Aber auch durch Autounfälle oder Stürze kann es zu einer Larrey-Hernie kommen. In vielen Fällen haben Betroffene keine Symptome. Die Hernie wird dann lediglich zufällig bei einer CT-Untersuchung entdeckt.
Operation mit winzigen Schnitten
„Herr Quraishe war erst der zweite Patient, den ich wegen einer Larrey-Hernie operiert habe“, sagt die erfahrene Thoraxchirurgin Steffi Zacheja. Am 16. Januar 2020 fand der Eingriff statt, zwei Tage nach der Diagnose in der Notaufnahme. Er erfolgte ohne großen Schnitt in den Körper. Die Methode wird minimalinvasiv oder thorakoskopisch genannt. Der Begriff Thorakoskopie stammt vom altgriechischen Wort „thorax“ ab (eigentlich „Brustpanzer der Rüstung“, davon abgeleitet, „Brustkorb“). Er bedeutet wörtlich übersetzt „Brustkorbschau“. Die Ärztinnen schauten dabei über ein 5-Millimeter-Videoendoskop in den Körper; ein dünnes Rohr, an dessen Ende eine Kameraoptik sitzt. Deren Bild wird auf einen Monitor neben dem Operationstisch übertragen. Auch die OP-Instrumente wie Messer und Pinzetten werden über dünne Röhren und zwei nur wenige Millimeter große Schnitte in den Körper geschoben. „Um in dem engen Brustkorb zurechtzukommen, haben wir bei dem Eingriff 45 Grad gewinkelte Instrumente verwendet“, so Steffi Zacheja.
Den Ärztinnen ewig dankbar
Die beiden Ärztinnen weiteten die Bruchpforte zunächst noch etwas auf, damit sie die verirrte Dünndarmschlinge und benachbartes Fettgewebe problemlos durch die Öffnung im Zwerchfell zurück in den Bauchraum drücken konnten. Dann vernähten sie das Loch. Bei großen Öffnungen wird manchmal auch ein Kunststoffnetz zum Verschließen des Bruchs eingesetzt. Da Herz, Lunge und weitere Organe ganz in der Nähe des engen OP-Gebiets lagen, musste der Eingriff mit großer Sorgfalt ausgeführt werden. Mit Erfolg: Keines der benachbarten Organe wurde verletzt.
Die Operation fand in Vollnarkose statt und dauerte rund zweieinhalb Stunden. Eine Nacht blieb der Patient noch zur Beobachtung auf der Intensivstation. „Wegen der winzigen Narben hatte ich danach kaum Schmerzen. Meine jahrelangen Beschwerden waren direkt nach dem Eingriff weg. Nach nur einer Woche konnte ich das Krankenhaus verlassen“, so Saifurhaman Quraishe. „Meinen beiden Ärztinnen bin ich ewig dankbar.“
Im Juli 2021 stellte sich Patient Saifurhaman Quraishe nochmals im Marienhospital vor. Er ist seit dem Eingriff beschwerdefrei. Nur drei blasse kleine OP-Narben sind an seiner linken Körperflanke zurückgeblieben.
SCHWERPUNKT THORAXCHIRURGIE
Der spezialisierte Bereich gehört zur Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie unter der Leitung von Professor Dr. Michael Schäffer. Für den Schwerpunkt Thoraxchirurgie ist die Oberärztin Dr. Steffi Zacheja zuständig. Hier werden Patienten mit gut- und bösartigen Erkrankungen der Lunge, des Rippen- und Zwerchfells behandelt. Modernst eingerichtete Operationssäle gewährleisten eine optimale Versorgung vor, während und nach einem operativen Eingriff.