„Oh ein Ball“, sei es seinem Hausarzt bei der Ultraschalluntersuchung des Bauchraums entfahren, berichtet Ednor Ramadani. Der „Ball“ war eine 16 Zentimeter große Zyste in der Leber des 24-jährigen Patienten. Der Arzt schickte Ednor Ramadani sofort ins Marienhospital. Dort stellte sich heraus, dass Finnen (Larven) des Fuchsbandwurms in der Leber waren. Die Finnen lebten und vermehrten sich dort in der riesigen, ballförmigen Zyste.
Sie wollten sich ein gemeinsames Leben aufbauen
Ednor Ramadani kommt aus dem Kosovo und lebt erst seit Dezember 2019 in Deutschland. Er spricht daher noch kaum deutsch. Seine Frau Semira übersetzt daher für ihn bei unserem Gespräch. Sie ist ebenfalls gebürtige Kosovarin, kam aber bereits als Kind nach Deutschland und spricht daher fließend deutsch. Die Medizinisch-technische Laboratoriumsassistentin hatte ihren Mann 2014 bei einem Urlaub im Kosovo kennengelernt. 2019 heirateten die beiden in Stuttgart. Bis dahin hatten sie eine Fernbeziehung mit wechselseitigen Besuchen im jeweils anderen Land. „Im Dezember 2019 zog Ednor dann zu mir nach Stuttgart. Wir wollten uns hier ein gemeinsames Leben aufbauen, aber wir hatten zum Start erst mal ziemliches Pech“, sagt Semira Ramadani.
Die Infektion dürfte Jahre zurückliegen
Ednor Ramadani hatte in Stuttgart eine Stelle als Bauhandwerker gefunden, wurde aber bereits wenige Monate nach Jobbeginn krank. „Schon jahrelang vorher hatte ich immer wieder Rückenschmerzen“, übersetzt Semira den Bericht ihres Mannes. „Nur gut zwei Monate, nachdem ich nach Deutschland gekommen war, bekam ich aber Mitte Februar zusätzlich Fieber und Schüttelfrost und entschied mich, zum Arzt zu gehen“, erinnert er sich. Als sein Arzt die riesige Zyste in der Leber des Patienten sah, schickte er ihn sofort zum Marienhospital. Dort wurde er zunächst in der Klinik für Innere Medizin 1 stationär aufgenommen. Ultraschallaufnahmen und Blutuntersuchungen zeigten, dass der Patient an einer Echinokokkose (Befall durch einen Fuchsbandwurm) litt. Sein Blut enthielt Antikörper gegen die Larven dieser Bandwurmart.
Während des viertägigen Klinikaufenthaltes wurde Ednor Ramadani auch in der Klinik für Allgemein, Viszeral- und Thoraxchirurgie untersucht. Deren Ärztlicher Direktor ist Professor Dr. Michael Schäffer. Er erinnert sich: „Es war schnell klar, dass wir die sehr große Zyste im Körper des Patienten, die mit Bandwurmfinnen gefüllt war, operativ entfernen mussten.“
Wie sich Ednor Ramadani mit Eiern des Fuchsbandwurms infiziert hat, wird sich wohl nie klären lassen. Sicher ist: Die Infektion dürfte etliche Jahre zurückliegen. „Denn“, so Professor Schäffer, „es muss ziemlich viel Zeit vergehen, bevor so eine Zyste derartig groß wird“. Fünf bis fünfzehn Jahre etwa dauert es, bis sich nach einer Infektion mit den Eiern des Fuchsbandwurms Symptome zeigen, die ein Krankheitsgefühl beim Patienten erzeugen. Kot von Füchsen, der Beeren, Gemüse- oder Gewürzpflanzen anhaftet, kann Eier enthalten, die sich dann im menschlichen Körper in verschiedenen Organen ansiedeln. „Man geht davon aus, dass in Deutschland jährlich nur etwa 40 Menschen behandelt werden müssen, die am Fuchsbandwurm erkrankt sind“, so Professor Schäffer. Die Zahl der tatsächlich Infizierten ist vermutlich deutlich höher. Aber oft schafft es der eigene Körper, die Eier oder Finnen abzutöten, und die Betroffenen merken gar nichts von der Infektion.
Vor der Operation möglichst viele Bandwurmfinnen abtöten
„Wir wollten vor der Operation möglichst viele der in der Zyste enthaltenen Finnen abtöten. Denn es besteht sonst die Gefahr, dass sie nach der Operation wie eine Krebsmetastase streuen und über die Blutbahn in Lunge oder Gehirn gelangen. Wenn sie sich dort vermehren, kann das zum Tod des Patienten führen“, sagt Professor Schäffer. Mehrere Wochen lang musste der Patient ein Medikament einnehmen, welches das Wachstum der Finnen hemmt und sie letztlich abtötet.
„Mein Mann sollte im März operiert werden, aber das musste dann wegen der Corona-Gefahr abgesagt werden“, so Semira Ramadani. Am 29. Mai fand die Operation schließlich statt. Mittels Schlüssellochchirurgie ist ein solcher Eingriff nicht durchführbar. Professor Schäffer öffnete den Bauch des Patienten daher in Vollnarkose über einen gut 20 Zentimeter großen waagerechten Schnitt. „Wir haben dann ein kleines Loch in die Zyste gebohrt und sie mit zehnprozentiger Kochsalzlösung gefüllt“, sagt der Chirurg. Noch lebende Finnen wurden durch die hohe Salzkonzentration abgetötet, damit sie sich nicht im Körper verteilen können. Die Flüssigkeit wurde dann abgesaugt und die Zyste komplett entfernt. „Dabei mussten wir etwa die Hälfte der Leber mit entfernen“, so der Operateur. Dennoch kann der junge Patient ein ganz normales Leben führen. Die Leber wächst nämlich nach. „Da der Patient gesund ist, nicht raucht und wenig Alkohol trinkt, ist mit einer vollständigen Regeneration zu rechnen“, erläutert Professor Schäffer.
Die dreistündige Operation und den einwöchigen Krankenhausaufenthalt überstand Ednor Ramadani gut. „Ich habe noch leicht Schmerzen, war wegen der großen Narbe auch mehrere Wochen krankgeschrieben, aber ich schaue wieder mit Zuversicht in die Zukunft“, lässt Ednor Ramadani seine Frau übersetzen. „Herr Ramadani sollte nach einem halben Jahr noch mal eine Ultraschalluntersuchung der Leber und einen Bluttest machen lassen, damit sicher ist, dass wirklich alle Finnen aus dem Körper entfernt wurden. Ansonsten muss er aber gesundheitlich nichts weiter beachten“, sagt Professor Schäffer.
Nach Corona und Fuchsbandwurm hoffentlich endlich die große Hochzeit!
Semira Ramadani hofft, dass die Pechphase der letzten Monate nun vorbei ist. „Wir hatten 2019 in Stuttgart nur eine kleine standesamtliche Eheschließung. Eigentlich wollten wir 2020 im Kosovo mit Familie und Freunden unsere Hochzeit groß feiern. Das musste wegen Corona abgesagt werden. Jetzt hoffen wir, dass wir es nächstes Jahr alle gesund nachholen können“, so Semira Ramadani. „Und danke, dass Sie meinen Mann operiert haben,“ sagt die junge Frau am Ende unseres Gesprächs zu Michael Schäffer.
Der Fuchsbandwurm – der Mensch ist nur ein Zwischenwirt
Die Infektion mit dem Fuchsbandwurm erfolgt durch Aufnahme von dessen Eiern. Diese befinden sich im Kot von Füchsen und können etwa an Beeren oder Gemüse haften. Werden diese ungewaschen gegessen, wandern die Eier vom Mund in den Dünndarm und entwickeln dort oft Larvenvorstadien. Über die Darmwand und angrenzende Blutgefäße gelangen diese in die Leber. Sie stellt in 98 Prozent der Fälle das Hauptzielorgan des Fuchsbandwurms dar. Die Larvenvorstadien entwickeln sich in der Leber zu aktiven Larven und führen zu Entzündungen, die Lebergewebe zerstören und verdrängen. In seltenen Fällen kommt es zu einer Gelbsucht oder es werden weitere Organe befallen, was tödliche Folgen haben kann.
Der ausgewachsene Fuchsbandwurm ist nur ein bis vier Millimeter lang. Der Mensch und die meisten Tiere gelten bloß als Zwischenwirte. In ihren Körpern entwickeln sich lediglich die Larven des Bandwurms. Erst wenn Füchse und einige weitere Tierarten infizierte Zwischenwirte fressen bzw. deren Aas, wachsen in ihnen Fuchsbandwürmer.